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Auf dem Lüdinghauser Stelenweg: Zitat aus Max Herrmanns Gedicht „Heimatlos“

| 2021

Der Literaturkreis des Lüdinghauser Kulturforums KAKTuS hat am 20. Juni 2021 auf dem Spazierpfad neben der Stever (gegenüber dem Steverbett-Hotel) einen neuen Stelenweg eröffnet und präsentiert dort auf 12 Metalltafeln Zitate zum Thema „Heimat“. Auch ein Zitat von Max Herrmann aus dem bis 1945 deutschen Neisse ist darunter. Es ist überschrieben: „Heimatlos“.

 

Lüdinghauser Stelenweg / Stele Nr. 4

Wir ohne Heimat irren so verloren
und sinnlos durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen plaudern vor den Toren
vertraut im abendlichen Sommerwind.

Max Herrmann-Neisse (1886–1941), Heimatlos.1936, geschrieben im Londoner Exil.

Max Herrmann-Neisse wurde 1886 in der ehemals deutschen Stadt Neisse in Schlesien geboren. Die Stadt gehört heute als „Nysa“ zu Polen und ist seit 1993 eine Partnerstadt Lüdinghausens.

Selbst vielen literarisch interessierten Zeitgenossen ist der Max Herrmann-Neisse ein Unbekannter. Dabei hat er sich nach dem Urteil von Kennern als Lyriker, Romancier und hellwacher Kritiker seiner Zeit einen Namen gemacht. Er war ein leidenschaftlich lebender und liebender Mensch und auch ein politischer Kopf. Schon als Schüler des Königlichen Katholischen Gymnasiums „Carolinum“ in Neisse (gegründet 1624 als jesuitisches Collegium Carolinum) irritierte ihn der romantische Nationalismus der Jahre vor dem ersten Weltkrieg.

Stets hatte er das Gefühl, ein Außenseiter zu sein. Obwohl in seinem Umfeld durchaus akzeptiert, litt er doch unter einer durch einen Sturz in der Kindheit verursachten starken Rückgratverkrümmung. Früh distanzierte er sich vom Bauerntum seiner provinziellen Umgebung und entdeckte in sich den „fanatischen Egoismus des Künstlermenschen“. Ohne akademischen Abschluss studierte er in München und Breslau Literatur- und Kunstgeschichte und zog einige Zeit später mit seiner Lebensgefährtin Leni Gebek nach Berlin.

Seine künstlerischen Aktivitäten und sein Schreiben wurden ihm angesichts seiner Behinderungen zu einer Überlebensbeschäftigung. Im Kulturbetrieb der „Goldenen Zwanziger“ war er auf den Kleinkunstbühnen Berlins ein gefragter Akteur. In Literatenkreisen fand er viel Anerkennung. Im Umfeld des Romanischen Cafés im Berliner Westen tauchten u. a. auch der Maler, Graphiker und Karikaturist George Grosz, Karl Valentin, Claire Waldoff, Kurt Tucholsky, Erich Kästner und Joachim Ringelnatz auf.

Wegen seiner kritischen Einstellung zur Politik und des sich steigernden öffentlichen Drucks der Nazis verließ er 1933 Berlin und ging schließlich ins Exil nach London. Hier veröffentlichte er auch einen Roman, in dem wiederum seine Geburtsstadt Neisse im Mittelpunkt steht: „Die Bernert-Paula“ ist die Geschichte einer körperlich „verkrüppelten“ und in der sozialen Realität einer „schlesischen Provinzstadt“ als Außenseiterin betrachteten Person. Bei allegorischer Betrachtungsweise der Romanhandlung lässt sich sagen, dass Max Herrmann mit diesem Roman, der unübersehbare autobiografische Züge aufweist, auch  indirekt auf die Verfinsterung des Menschenbildes hinweist, die sich im Nazi-Deutschland breitmacht.

Von den Nazis zum „Staatsfeind“ erklärt, verstarb Max Herrmann 1941 heimatlos und weitgehend unbeachtet im Exil in London an Herzschwäche. Das folgende Gedicht macht den Schmerz eines Heimatlosen deutlich, der zwar im fremden Land toleriert wird, aber doch stets  „außen vor“ bleibt.

Heimatlos.

Wir ohne Heimat irren so verloren
und sinnlos durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen plaudern vor den Toren
vertraut im abendlichen Sommerwind.
Er macht den Fenstervorhang flüchtig wehen
und läßt uns in die lang entbehrte Ruh
des sichren Friedens einer Stube sehen
und schließt sie grausam vor uns wieder zu.

Die herrenlosen Katzen in den Gassen,
die Bettler, nächtigend im nassen Gras,
sind nicht so ausgestoßen und verlassen
wie jeder, der ein Heimatglück besaß
und hat es ohne seine Schuld verloren
und irrt jetzt durch der Fremde Labyrinth.
Die Eingebornen träumen vor den Toren
und wissen nicht, daß wir ihr Schatten sind.

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